Bringt Cloud wirklich die IT-Arbeitsplätze in Gefahr?

Vermutlich bin ich nicht der Einzige, der sich die Frage nach den Zukunftsperspektiven für seinen Beruf stellt. Wie sieht er in fünf, zehn Jahren aus? Ich bin der Überzeugung, dass die rasante Verbreitung der Cloud-Technologie meine berufliche Zukunft grundlegend verändern könnte. Möglicherweise gibt es auf meine Frage eine simple Antwort, von der ich nichts ahne. Oder bin ich ein hoffnungsloser Pessimist?

Ein paar historische Abrisse sind hier erwähnenswert.

Distruptive Technologie

Der Begriff der Distruptiven Technologie wird in Wikipedia definiert als  eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt. Wikipedia (englisch to disrupt „unterbrechen“)

Welche Effekte eine disruptive Technologie haben könnte, führe ich einen kurzen Exkurs zur jüngeren Vergangenheit aus. Noch vor 30 Jahren konnte man in jedem Büro eine Vielzahl an Schreibmaschinen vorfinden. In ihrer relativ langen 170-jährigen Geschichte durchliefen sie den Entwicklungsweg von einem komplett mechanischen bis zum elektronisch-mechanischen Gerät. Doch wer erinnert sich an die Modellnamen und ihre Hersteller? Heutzutage wird der Computer zur Verfassung der Texte und der Drucker zum Ausdrucken der Dokumente benutzt. Auch dieses ist schon heute nicht mehr zeitgemäß und entspricht nicht den Interessen des Umweltschutzes. Papierfreies Büro ist die Zukunft. Wobei man auch immer weniger vom Büro spricht, da auch dieser Begriff nicht aktuell ist. Home Office is our future, nicht wahr?

Doch zurück zu der Distruptiven Technologie. Wer assoziiert das Wort Weber mit einem bestehenden Beruf? Die Mehrheit verbindet es mit einem geläufigen Familiennamen. Der Beruf, der im Laufe der Jahrtausende die Existenz vieler Familien sicherte, wurde durch die Einführung der Webmaschinen überflüssig und wegrationalisiert.

Automobilindustrie

Meiner Meinung nach, könnten die Distruptive Technologie in naher Zukunft  am stärksten die Automobilindustrie treffen. Vor etwa hundert Jahren ersetzte der Personenkraftwagen erfolgreich die Kutsche. Obwohl es einigen Herstellern sogar für kurze Zeit gelang, Autos zu bauen, entwickelte sich der Autobau innerhalb kürzester Zeit zu einem der führenden Produktionszweige der Industrie, der bis heute Millionen Menschen auf der ganzen Welt beschäftigt.

Die Einführung des Montagefließbandes sorgte für die Revolution im Autobau, auch wenn sie die ersten kleinen Arbeitsstellenkürzungen nach sich zog. Das Fließband ermöglichte den Herstellern die Herstellungskosten zu senken und dabei das Herstellungsvolumen zu vergrößern. Die nun entlassenen Mitarbeiter konnten im Betrieb erhalten bleiben, indem sie in den anderen Segmenten der Arbeitskette beschäftigt wurden. Nichtdestotrotz führte der Robotereinsatz an den verschiedenen Produktionsetappen zu Kürzungen der Arbeitsplätze, sodass ich vermute, dass die Glanzzeiten der Autobauindustrie bereits der Vergangenheit zuzurechnen sind.

Antrieb Eines Elektroautos

In der absehbaren  Zukunft könnte die Verbreitung der Elektromobile die gesamte Branche grundlegend verändern, vorausgesetzt das genügende Rohmaterial für die Herstellung der Autobatterien. Am meisten werden die unterschiedlichen Zulieferer der Ersatzteile betroffen sein. Denn aus wie vielen Teilen besteht ein durchschnittlicher Wagen mit einem Verbrennungsmotor? Abhängig von der Ausstattung setzt er sich aus über 10.000 Einzelteilen zusammen. Wie sieht es mit einem Elektromobil aus? (Antrieb eines Elektroautos auf dem Bild oben) In der Zukunft könnte sogar auf die „klassische“ mechanische Bremse verzichtet werden, da sie der Idee des autonomen Fahrens widerspricht. Übrigens, verfolgt nicht ausgerechnet das autonome Fahren das Ziel, den Fahrer durch den Computer zu ersetzen? Man stelle sich eine Zuliefererkette vor, deren letztes Glied den Verbrennungsmotor als das Endprodukt zuliefert. Alles beginnt mit der Förderung des Rohmaterials, seiner Verarbeitung und der Produktion der einzelnen Komponenten. Anschließend folgt die Montage der Einzelteile zu den komplizierteren Blöcken, bis sie schließlich am Ende dieses langen Weges zu einem Motor zusammengesetzt werden. Nun betrachte man die Produktionskette aus der Vogelperspektive:Cloud Global AllMan denke an das große Netz der kleinen und großen Unternehmen. Denn jedes Unternehmen bedeutet viel mehr als bloß ein Produktionsgelände, ein Büro und seine Ausstattung. Dazu gehören auch die Bäckerei und das Lebensmittelgeschäft, die Post, die Ärzte, die öffentlichen Verkehrsmittel und alle anderen Dienstleistungen im Umkreis. All das stellt die Glieder einer Kette zusammen, die nun gebrochen werden könnte.

Doch keine Sorge! Zunächst schafft die Verbreitung der Elektromobile zusätzliche neue Arbeitsplätze, statt alte, bereits bestehende zu vernichten. Zudem zeigen die Verkaufszahlen der „klassischen“ Personenkraftwagen eine kontinuierliche Beständigkeit, während „kindliche Krankheiten“ der Elektromobile noch nicht geheilt werden können. Somit bleibt die Autobauindustrie bis auf weiteres einer der größten Arbeitgeber.

Vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0)

Langsam nähern wir uns unserem Hauptanliegen. Als nächstes wird ein weiteres Beispiel für die Distruptive Technologie aufgeführt – die sogenannte vierte industrielle Revolution. Ebenso wie die vergangenen Revolutionen ruft diese keine positiven Emotionen hervor, denn jede Revolution wird von Verlusten sowohl finanzieller als auch menschlicher Art begleitet.

Unter der Industrie 4.0 versteht man die völlige Automatisierung, die bis zur Perfektion gebracht wurde. Dies ist ein Versuch, die Produktionsprozesse auf allen Ebenen so weit wie möglich zu automatisieren, von der Konzipierung bis hin zur Logistik und zum Marketing.

Des Weiteren bedeutet die Industrie 4.0 eine Verschmelzung von den IT-Technologien und der Produktionsausstattung unterschiedlicher Art. Dabei soll IT die führende Rolle übernehmen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz wird die Produktionseffizienz weiter steigern. Die perfekte Zukunftsproduktion stellt Betriebe ohne gewöhnliche Mitarbeiter dar, die zum Tor hinausgehen. Der Mensch nimmt einen anderen Platz in der Industrie 4.0 ein – er bedient die zahlreichen Maschinen oder gehört zu dem hochqualifizierten Personal der IT-Spezialisten.

Ich bin praktisch überzeugt, dass bereits heute der Mensch in vielen Fällen durch die Maschinen ersetzt werden kann, aber dies aus zwei möglichen Gründen nicht geschieht:

1. Viele Arbeitsplätze werden so lange aufrechterhalten, bis die Schaffung des automatisierten menschlichen Ersatzes nicht rentabel sein wird.
2. Die Einführung der neuen Technologien wird künstlich hinausgezögert, um die massenhaften Stellenkürzungen und die damit verbundenen negativen sozialen Folgen zu vermeiden.

Solange das Unternehmen rentabel ist und die Aktionäre zufrieden sind, wird auf die neuen Technologien verzichtet. Womöglich hören wir bald von Ludditen des 21 jahrhundert?

Cloud First

Cloud

Bei einer Informationsveranstaltung eines der führenden Anbieter auf dem Markt der Cloud-Technologien wunderte mich die Frage eines Besuchers. Er wollte wissen, ob die gesamte lokale Infrastruktur seines Kunden konvertiert und in der Cloud des Anbieters übertragen werden könne. Nachdem er eine positive Antwort erhalten hatte, war er überaus glücklich über die Möglichkeit, einen lästigen Kunden loszuwerden. Ich muss gestehen, dass mich eine solche Reaktion des Mitarbeiters eines Systemhauses gewundert hatte. Wäre es nicht vorteilhafter, bei bestehenden Problemen einen richtigen Umgang mit dem Kunden zu finden, statt ihn verlieren zu wollen? Wie kann man mit den Kunden dermaßen verschwenderisch umgehen? Schließlich wachsen sie nicht auf den Bäumen. Wenn alle Kunden solcher IT-Unternehmen zum Cloud wechseln werden, womit planen ihre Mitarbeiter, sich in der Zukunft zu beschäftigen?

IaaS

Die Cloud Lösungen als solche stellen keine neue Technologie dar, dennoch ist dies eine zweifelsohne nützliche Technologie, die attraktiv verpackt ist. Die Diskussion über die zahlreichen Varianten der Cloud-Services überschreitet den Rahmen dieses Artikels, aber erwähnenswert ist, dass es sich dabei um IaaS (Infrastructure-as-a-Service) und SaaS (Software-as-a-Service) handelt.

Aus Marketingsicht besteht das Ziel des Cloud-Computings darin, die Rechenleistung aus dem Datenzentrum des Users in das Datenzentrum des Providers zu übertragen. Der Provider stellt sicher, dass der Kunde sich nicht weiter um die Aufrechterhaltung der physischen Infrastruktur im leistungsfähigen Zustand zu kümmern braucht. Alles, das sich unter der Shell des Betriebssystems befindet, sowie die Verantwortung für die physische Infrastruktur (ausgenommen das Netz) werden aufgehoben. Dazu zählen folgende Positionen und die damit verbundenen Fachbereiche (Berufe):

  1. Physische Sicherheit des Rechenzentrums, Zugangskontrolle
  2. Klimatisierung
  3. Stromversorgung (USV)
  4. Brandschutz
  5. Server
  6. Speichersysteme (Storage)
  7. Netzwerk (teilweise)
  8. Informationssicherheit (teilweise)

Der Übergang zum Cloud könnte eine beträchtliche Ersparnis der Betriebskosten (OPEX) und der Investitionsausgaben (CAPEX) in den oben genannten Punkten ermöglichen.

Demzufolge hält die Infrastruktur Ihrer Firma keine Konkurrenz mit einem bedeutenden Cloud-Provider in den oben erwähnten Positionen, wenn sie nicht zu den führenden Unternehmen gehört. Nach der Migration in die Cloud wird die Notwendigkeit nach der Suche, dem Testen und dem Einkaufen der Hardware für immer verschwinden, da es bei Cloud stets die Gelegenheit besteht, die Hardware nach Ihren Erwartungen und finanziellen Möglichkeiten zu erwerben. Jede der genannten Positionen bedeutet nicht nur die physische Ausstattung, sondern auch Mitarbeiter, die zu ihrer Bedienung eingestellt wurden.

Privat Cloud

Auch die sogenannten Konsolidierungsprojekte in die Privat Cloud könnten dafür sorgen, dass die lokale IT-Abteilungen an entfernten Standorten aufgelöst werden und durch eine zentral gemanagte Infrastruktur ersetzt werden. Solche Zusammenführung kann nicht nur die Komplexität der IT-Landschaft reduzieren, sondern ein erhebliches Einsparungspotenzial im Personalwesen mit sich bringen.

SaaS

SaaS stellt keine geringere Gefahr für die Spezialisten dar, die sich mit der Betreuung solcher unterschiedlichen Plattformen wie z.B. Email, CRM oder ERP Systeme befassen. Die Cloud-Technologie stellt die gewünschte Funktionalität zu Verfügung, ohne sich um Back-End kümmern zu müssen. Zudem befindet sich das System stets auf dem neuesten Stand, was sowohl die regelmäßigen Updates als auch das Upgrade auf die neueren Versionen (Evergreen IT) anbetrifft.

Fazit

Mich wundert die Begeisterung der Kollegen bezüglich der Einführung der Cloud-Technologie. Der Kunde, der zu Cloud wechselt, ist nicht länger Ihr Kunde, sondern der des Providers. Die Übertragung der Kundeninfrastruktur zu Cloud könnte den Systemintegrator der wiederkehrenden Umsätze berauben. Denn, verehrte Kollegen, Sie werden nicht länger die neue Hardware zu verkaufen brauchen, wenn die Garantiefrist abgelaufen sein wird. Die Updates zu neuen Versionen finden automatisch und ohne Ihre Teilnahme statt.

Viele Mitarbeiter nehmen naiv an, dass Cloud lediglich den Wechsel des Arbeitgebers nach sich ziehen könnte. Doch der durchschnittliche Administrator könnte für einen seriösen Cloud-Provider als inkompetent erscheinen. Daher sollte man sich im IT-Bereich ständig weiterbilden, und sich auf höherwertige Tätigkeiten fokussieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft zweifelsohne interessant zu sein verspricht. Rosig oder düster, das ist hier die Frage. Analog zur Autoindustrie schafft die Verbreitung der Cloud zusätzliche neue Arbeitsplätze, die gewisse Zeit noch parallel existieren werden. Es wird sowohl Verlierer als auch Gewinner durch die Verbreitung der Cloud-Technologie geben. Mich würde sehr Ihre Meinung interessieren, verehrte Kollegen.

 


Dieser Artikel ist zuerst in russischer Sprache auf habrahabr erschienen | Öffnen -  Gekürzte Fassung auf heise online |Öffnen


Kommentar

Hallo Anatoli,

ich habe mir Deinen Artikel gerade durchgelesen und kann Deine Sichtweise in Teilen nachvollziehen. Allerdings sehe ich das Ganze nicht so pessimistisch, sondern eher als Herausforderung oder Chance.

Ich gebe Dir Recht, dass in der IT-Branche einige Berufe wegfallen oder stark reduziert werden. Der klassische Administrator, der alles ein bisschen, aber nichts richtig macht, wird nicht mehr benötigt. Wenn er sich nicht weiterbildet und spezialisiert, hat dieser Administrator düstere Zukunftsaussichten.

Ein motivierter und lernbereiter Mitarbeiter kann sich aber nach einer Migration in die Cloud mit viel wertvolleren Themen beschäftigen. Statt stupide Updates zu installieren, Backupbänder zu wechseln oder Hardware in Racks einzubauen, kann er mit Hilfe von IT-Technologien dabei helfen, Geschäftsprozesse des Kunden oder seines Arbeitgebers zu optimieren.

In vielen kleinen- und mittelständischen Unternehmen hatten die IT-Mitarbeiter bisher wenig bis gar keine Zeit, sich mit höherwertigen Tätigkeiten zu beschäftigen, weil sie alle Hände voll zu tun hatten, die IT-Umgebung „irgendwie“ am Laufen zu halten.
Vor der Verbreitung von Cloud-Technologien hatte ein kleines- oder mittelständisches Unternehmen kaum die finanziellen Möglichkeiten eine hochverfügbare IT-Umgebung aufzubauen und zu betreiben.

Als Administrator musste man praktisch täglich mit dem Super-GAU rechnen – einem Komplettausfall der IT-Systeme, gefolgt von aufwendigen und nie getesteten Wiederherstellungsprozessen.

Als IT-Verantwortlicher und auch als Administrator/Systems-Engineer kann man nun (nach einer Migration in die Cloud) deutlich ruhiger schlafen, und sich mit anderen Dingen beschäftigen.

Hierzu ist es natürlich wichtig, die Geschäftsprozesse und die Anforderungen des Kunden bzw. Arbeitgebers zu verstehen (also Branchenkenntnisse), um so passgenaue Lösungen zu entwickeln.

Eine solche Lösung kann aus der Kombination von verschiedensten Cloud-Diensten bestehen, kombiniert mit unternehmensspezifischen Anpassungen (Customizing).
Ich sehe das grundsätzlich eher positiv.

Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft, sich ständig weiterzuentwickeln, neue Trends zu erkennen, und offen gegenüber neuen Aufgaben zu sein. Ein IT-Mitarbeiter, der „nur“ sein bestehendes Wissen anwenden möchte, wird sehr schnell überflüssig werden.

Viele Grüße

Volker

 


Lesenswertes:

Warum Technologie langfristig keine Arbeitsplätze vernichtet - funkschau.de

Die Cloud schafft und vernichtet Arbeitsplätze - tecchannel.de

IT-Arbeitsplätze: massiver Stellenabbau in den USA - heise.de